Wenn Menschen sich lieben, dann heiraten sie oder sie leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen.

Wenn diese Hypothese stimmt, dann lieben sich die Menschen heute deutlich weniger als noch vor zehn Jahren. Und noch viel weniger als vor 20 Jahren. Denn immer weniger Menschen leben als Ehepaar oder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen. Nun, die Zahl, die Struktur und die Dauer zwischenmenschlicher Beziehungen mit der Häufigkeit und Heftigkeit auftretender Liebe zu erklären, scheint ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen. Die Liebesquantität und -qualität ist sicherlich ein Bestimmungsfaktor für zwischenmenschliche Beziehungsstrukturen und -prozesse. Vielleicht sogar der wichtigste. Aber erstens läßt sich Liebe nur schwer, wenn überhaupt, messen, und zweitens könnte es ja sein, daß es noch eine Vielzahl weiterer Bestimmungsgründe für das Eingehen einer festen Partnerschaft gibt.

Einem anderen Erklärungsansatz wenden wir uns jetzt zu, dem ökonomischen:

1 Eine Vorbemerkung

Ist ein Abschnitt überschrieben mit "Eine Vorbemerkung", dann bleibt es meistens nicht bei einer. So ist es auch hier - aber wir wollen uns um Kürze bemühen, wenn wir uns etwas mit der Methodik ökonomischer Analyse vertraut machen, bevor wir zum eigentlichen Thema kommen.

Die Wirtschaftswissenschaften haben einen breiteren Anwendungsbereich, als die meisten Menschen ihr zuschreiben. Wenn man "Otto Normalverbraucher" fragen würde: "Was stellen Sie sich unter Wirtschaftswissenschaften vor?", dann bekäme man wohl Antworten der folgenden Art:

"Da geht es um das, was man im Fernsehen bei WiSo und Plus-Minus sieht" oder "Ich glaube, daß man das an der Universität studieren kann" oder "Da geht es wohl vor allem um Geld".

Schaut man hingegen in ein modernes ökonomisches Lehrbuch, findet man eine ganz andere, viel allgemeinere Antwort: Die Wirtschaftswissenschaft "analysiert das menschliche Verhalten und die daraus resultierenden kollektiven Phänomene" (Weise et. al. 1991, 1). Dabei unterscheidet sie sich von ihren Nachbardisziplinen, die sich mit menschlichem Verhalten beschäftigen - wie z.B. der Soziologie, der Medizin oder der Psychologie und der vor dem Hintergrund unseres Themas nicht zu vergessenden Theologie, vor allem durch die Art der Herangehensweise. Ökonomen gehen regelmäßig davon aus, daß ein Mensch, der ein Ziel auf verschiedene Arten erreichen kann, immer die für ihn (kosten-)günstigste Art wählt.

Betrachten wir dazu beispielhaft eine typische ökonomische Konsumentscheidung, die in der Bundesrepublik etwa drei Millionen mal in einem Jahr vorkommt: den Kauf eines fabrikneuen Personenkraftwagens. Ein Konsument, den wir Herrn Müller nennen wollen, kauft sich alle zwei Jahre einen neuen Opel, früher einen Rekord, heute einen Omega. Herr Müller ist Leser diverser Autozeitschriften und ADAC-Mitglied. Er war mit seinen Fahrzeugen immer sehr zufrieden, ist gut informiert und weiß genau, welchen Typ mit welcher Sonderausstattung er kaufen will. Im Grunde hat er nur noch eine Frage nicht geklärt. Im Ort gibt es zwei Opel-Händler A und B, und Müller weiß noch nicht, bei wem er kaufen wird.

Auf seine Anfragen machen ihm beide Händler denselben Preis. Händler B bietet Müller für seinen Gebrauchten aber einen Tausender mehr. Bei welchem Händler wird Müller seinen neuen Wagen kaufen?

Die Antwort des Ökonomen wird Sie vielleicht überraschen: Wir wissen es nicht. Zunächst scheint Händler B für Müller der günstigere zu sein, da er ja 1000 DM sparen würde. Aber vielleicht steht B bei Müller in zweifelhaftem Ruf, oder vielleicht ist Müller schon seit vielen Jahren Stammkunde bei A, oder vielleicht ist B ein ehemaliger Klassenkamerad, den Müller noch nie leiden konnte, oder vielleicht hatte Müller mal ein Verhältnis mit B's Frau und bei seinen Preiserkundigungen Angst bekommen, daß B Wind von der Sache bekommen haben könnte. Es gibt zahlreiche Gründe, die dazu führen können, daß Müller bei Händler A kauft.

Wir können aber trotzdem Schlußfolgerungen ableiten:

1. Wenn Autohaus B grundsätzlich günstiger ist, dann kauft Müller sein Auto zwar nicht unbedingt dort, die Wahrscheinlichkeit, daß die Mehrzahl der Kunden dort kauft, ist aber recht groß. Denn die speziellen Gründe, die für Müller gegen den Kauf bei B sprechen, werden für die meisten anderen potentiellen Käufer nicht gelten.

2. Wenn Müller sein Auto tatsächlich bei A kauft, dann wissen wir, daß er Gründe gehabt haben muß, die ihm wenigstens 1000 DM wert waren.

3. Wenn wir von Anfang an wüßten, daß aus Müllers Sicht Autohaus A und Autohaus B in jeder Beziehung, abgesehen von der Vergütung für den Gebrauchtwagen, gleich sind, dann wäre unsere Prognose, daß Müller bei B kauft.

Nach diesem Muster werden wir im folgenden durchgängig argumentieren: Unter sonst gleichen Umständen wählen Menschen die günstigere Alternative.

Oft ist es aber für den Entscheidungsträger selbst gar nicht so einfach, die günstigste Alternative ausfindig zu machen. Weil Informationen fehlen, oder weil es eine so große Anzahl an Alternativen gibt, daß man sie gar nicht alle bewerten kann. Für häufig wiederkehrende Handlungen werden mitunter Entscheidungen nur einmal getroffen und dann beibehalten, bis sich entscheidende Bestimmungsfaktoren dieser Entscheidung verändern. So kann man z.B. gewohnt sein, regelmäßig in einem bestimmten Geschäft eine bestimmte Sorte Wein zu kaufen. Erst wenn sich z.B. der Preis ändert oder wenn in der Nähe ein neuer Supermarkt öffnet, überdenkt man die Entscheidung.

Nehmen wir noch einmal Herrn Müller zu Hilfe und außerdem an, der Preis seines bevorzugten Weines steige um zwei DM je Flasche auf 14 DM. Wenn Müller nun vor dem Regal im Supermarkt steht und die Preisänderung bemerkt, wird er - außer sich darüber zu ärgern - überlegen, wie er darauf reagiert. Aus der Palette möglicher Entscheidungen, wollen wir folgende betrachten:

1. den Wein trotzdem kaufen,

2. weniger Wein dieser Marke kaufen,

3. eine andere Marke kaufen,

4. anstatt Wein Bier kaufen,

5. einen Ladendiebstahl begehen und die Flasche einfach mitgehen lassen.

Grundsätzlich kommen alle Vorschläge als Entscheidung für Müller in Frage. Wovon wird es abhängen, wie er reagiert? Die Kosten der ersten Alternative können wir leicht angeben: Wenn Müller jede Woche eine Flasche kauft, dann kostet ihn diese Entscheidung 104 DM pro Jahr. Schwieriger sind die Kosten der anderen Alternativen anzugeben, weil wir dann ja z.B. auch die Kosten der Umgewöhnung an den anderen Wein beachten müßten.

Betrachten wir für den Augenblick Alternative Fünf etwas genauer: den Ladendiebstahl. Hier können wir die Erträge recht leicht bestimmen: Wird Müller nicht erwischt, dann spart er 14 DM pro Woche, macht 728 DM im Jahr (Man sieht, je teurer etwas wird, desto eher lohnt sich ein Diebstahl, ceteris paribus). Schwieriger ist es mit den Kosten: Wird er nicht erwischt, so hat er keine Kosten außer eventuellen Gewissensbissen. Da Müller aber weiß, daß derzeit im Bundesgebiet fast eine halbe Million Ladendiebstähle pro Jahr polizeilich registriert werden - und das sind fast ausschließlich Diebstähle, bei denen die Diebe auf frischer Tat ertappt wurden - wird ihn das nicht allzusehr belasten. (1990 waren es ca. 452.900. Die Aufklärungsquote bei registriertem Ladendiebstahl liegt über 90 Prozent (Koch 1992)).

Wenn Müller davon ausgehen kann, nicht erwischt zu werden, ist der Ladendiebstahl sicherlich die günstigste Alternative. Aber man muß natürlich das Risiko der Entdeckung berücksichtigen. Im Fall des Erwischtwerdens können die Kosten für Müller nämlich recht erheblich sein. Je nach gesellschaftlicher und beruflicher Position können unter Umständen erhebliche Reputationsverluste und Karrierenachteile drohen, wenn er als Ladendieb bekannt wird. Es kann sein, daß sich die unmittelbar aus dem Ladendiebstahl ergebenden Folgekosten dagegen recht bescheiden ausnehmen.

Nun ziehen sicherlich (oder hoffentlich) die meisten Menschen allein aufgrund ihrer Lebensumstände einen Diebstahl als Handlungsalternative nicht ernsthaft in Erwägung. Und vielleicht wollen Sie an dieser Stelle entrüstet einwenden, daß man sowas doch nicht ökonomisch analysieren dürfe, nie hätten Sie z.B. daran gedacht, zu stehlen ... Aber wie ist es denn z.B. mit Falschparken, Geschwindigkeitsübertretungen und Schwarzfahren oder Steuermauscheleien? Kaum jemand wird wohl reinen Gewissens von sich behaupten können, noch nie einen ernsthaften Gedanken daran verschwendet zu haben, hier Kosten und Erträge gegeneinander abzuwiegen. (Sehr deutlich tritt dieses Abwägen von Nutzen und Kosten bei Geschwindigkeitsübertretungen zutage. Die Masse der Autofahrer fährt nur etwas schneller als erlaubt, da die Kosten (Bußgeld, Punkte, evtl. Führerscheinentzug) mit der Höhe der Übertretung überproportional ansteigen.)

Und das ist natürlich genauso mit dem Heiraten. Eine Entscheidung, die wegen ihrer möglicherweise sehr hohen Folgekosten wohl überlegt sein will.