Das IS-LM-Diagramm leistet
wertvolle Dienste bei der Analyse exogener Schocks. Dabei kann es sich zum
einen um Änderungen der Verhaltensparameter der Wirtschaftssubjekte
handeln. Ein Beispiel dafür wäre, dass nach einer feurigen Ansprache des
Finanzministers eine Welle der Euphorie über das Land schwappt und die
Unternehmen ihre Investitionstätigkeit
erhöhen. Das ist zwar äußerst unwahrscheinlich - jedenfalls im Moment
(Dez. 2004) - aber die Euphorie hätte, wenn sie denn so käme, eine Rechtsverlagerung
der IS-Kurve zur Folge.
Zum anderen kann es sich um eine bewusst eingeleitete wirtschaftspolitische
Maßnahme handeln. Wäre Y* eine Unterbeschäftigungssituation, könnte der Staat
eine expansive fiskalpolitische Maßnahme ergreifen. Darunter
werden alle Maßnahmen staatlicher Ein- und Ausgabenpolitik verstanden, die die IS-Kurve
nach rechts verschieben. Sowohl eine Erhöhung der Staatsausgaben als auch
Steuersenkungen würden dazu zählen.
Beispiel 1: Expansive Fiskalpolitik
Das Zahlenbeispiel:
Wir wollen zunächst überlegen, welche neue Gleichgewichtssituation sich
einstellen würde, wenn der Staat in unserem durchgängig betrachteten Zahlenbeispiel
(s. rechts) die Investitionsausgaben dauerhaft um 100 Geldeinheiten anheben
würde.
Woher er dieses Geld nimmt, soll uns erst mal nicht interessieren, auch wenn
es sicherlich indirekte Auswirkungen haben kann, die u. U. nicht vernachlässigt
werden dürfen. Wir gehen hier also sehr großzügig mit der ceteris-paribus-Klausel um.
Aus der Analyse des einfachen Multiplikatorprozesses wissen
wir, dass bei einer marginalen Konsumquote von 0,75 die (dauerhafte) Erhöhung
der autonomen Investitionen um 100 zu einer Ausweitung der gleichgewichtigen
Produktion um 400 Geldeinheiten führen wird.
Diesen Effekt können wir nach wie vor erkennen. Die IS-Kurve ist in der Ausgangssituation
gegeben durch
[1]
[1a]
Wenn Sie die Maus über Abbildung 1 stellen, wird Ihnen die Rechtsverschiebung um 400 Geldeinheiten durch den Anstieg der autonomen Investitionen um 100 verdeutlicht:
[1b]
Die hohe Zunahme des Einkommens käme allerdings nur bei einem konstanten
Zinsniveau zustande. Die zunehmenden Transaktionen infolge der gestiegenen
Staatsnachfrage lassen aber die Geldnachfrage ansteigen. Da das Geldangebot
durch die Zentralbank konstant vorgegeben ist, kann die steigende Transaktionskassennachfrage nur durch eine Verminderung der
Spekulationskasse befriedigt werden.
Für die weitere Analyse der (gedachten) Abläufe ist wichtig, dass wir uns
gerade noch im normalen
Bereich der LM-Kurve befinden. Die Wirtschaftssubjekte
sind hier geteilter Meinung, ob sich das Halten von Wertpapieren lohnt oder
nicht. Einige Wirtschaftssubjekte verfügen daher über Kasse, die sie unmittelbar
zu Transaktionszwecken einsetzen können. Andere aber werden Wertpapiere verkaufen,
um ihre Transaktionskasse zu füllen. Das kann man sich ganz plastisch vorstellen:
Familie Meier bemerkt den wirtschaftlichen Aufschwung. Frau Meier, die schon
vor ihrer Arbeitslosigkeit als Kassiererin gearbeitet hatte, kann wieder
einen Arbeitsplatz einnehmen, da den Menschen durch den Aufschwung der Euro
lockerer in der Tasche sitzt und wieder mehr eingekauft wird. Meiers denken über
die Anschaffung eines Zweitwagens nach, schließlich soll Frau Meier ja nicht
immer auf öffentliche
Verkehrsmittel angewiesen sein - jetzt, wo sie doch wieder mitverdient. Der
Entschluss fällt.
Meiers kaufen das Auto und verkaufen zur Finanzierung einen Teil der Wertpapiere
aus ihrem Depot. Diese Verkaufsentscheidungen auf dem Wertpapiermarkt, die
jetzt in vielen Familien ähnlich ausfallen, drücken
auf die Kurse. Das bedeutet zwangsläufig
steigende
Zinsen.
[Maßstabsgetreues Diagramm] Komparative Statik
im IS-LM-Modell: Die Erhöhung der Staatsausgaben lässt das Einkommen steigen. Der durch
die zunehmende Transaktionskassennachfrage steigende Zins bremst den Effekt.
Es kommt zu teilweisem crowding out. [Maussensitives Digramm: Q zeigt den
einfachen Multiplikatoreffekt ohne Geldmarkt.]
Das steigende Zinsniveau lässt einige Investitionsprojekte unrentabel
werden. Die Nachfrage nach Investionen im privaten Sektor geht also zurück.
Dieser Prozess heißt "crowding out" oder Verdrängungseffekt.
Er ist in unserem Zahlenbeispiel recht deutlich ausgeprägt, da wir uns an
der Grenze zumklassischen
Bereich der LM-Kurve befinden.
Der Multiplikatoreffekt würde die Einkommen bei konstantem Zinsniveau von 800 auf 1200 ansteigen lassen. Die steigende Nachfrage nach Transaktionskasse führt nach Abschluss der Anpassungsprozesse jedoch zu einem Zinsniveau von (ca.) 6,70 gegenüber ausgangs 5 Prozent. Das hat zur Folge, dass die private Investitionsnachfrage von ursprünglich
[2]
auf nur noch
[2a]
Geldeinheiten sinkt. Der staatlichen Zunahme der Investionen in Höhe von 100 stehen also verdrängte private Investitionen in Höhe von 85 gegenüber. Netto verbleibt eine Nachfragesteigerung von gerade einmal 15 Geldeinheiten. Auf diese Nachfragesteigerung wirkt der Multiplikatoreffekt, sodass das neue Gleichgewichtseinkommen Y'* (ca.) 860 Geldeinheiten beträgt (genau 859,69).
Natürlich hätten wir das neue Gleichgewicht auch in einem Zug bestimmen können, indem wir einfach den Schnittpunkt der LM- mit der verschobenen IS-Kurve berechnet hätten. Und auch unsere relativ komplexe Argumentationsschiene eng am Modell hätten wir ohne Weiteres etwas lockerer fassen können:
1. Die Nachfrage steigt durch die staatliche Ausgabenpolitik.
2. Die Unternehmen erhöhen die Produktion. Die Einkommen steigen.
3. Die steigenden Einkommen führen bei konstanten Zahlungsgewohnheiten zu einer erhöhten Nachfrage nach Transaktionskasse.
4. Da die Zentralbank das Geldangebot konstant hält, kommt es zu einer Überschussnachfrage auf dem Geldmarkt, die das Zinsniveau steigen lässt.
5. Der Zinsanstieg führt zu einem Rückgang der privaten Investitionstätigkeit.
6. Der Nettoeffekt ist jedoch insgesamt positiv. Das neue Gleichgewicht stellt sich bei einem höheren Einkommens- und einem höheren Zinsniveau ein.
Beispiel 2: Expansive Geldpolitik
Der "Schock" kann natürlich auch vom Geldmarkt ausgehen. Wir wollen
annehmen, dass die Zentralbank die Geldmenge (expansive Geldpolitik)
erhöht, wodurch die LM-Kurve nach rechts verschoben wird. Wir betrachten
dazu die stilisierte Abbildung 2. Zunächst
wollen wir wieder mithilfe des Zahlenbeispiels überlegen, wie stark die Zentralbank
die Geldmenge ausweiten müsste, sodass das Gleichgewichtseinkommen von 800
auf 1000 ansteigt.
Der Lösungsweg ist einfach. Zunächst lässt sich aus der IS-Funktion ermitteln
(s.
Gleichung [1]), dass sich ein Einkommen von 1000 bei einem Zinssatz von
4 einstellt. Es ist also nur noch festzustellen, für welche Erhöhung der
Geldmenge die LM-Kurve die IS-Kurve bei einem Einkommen von 1000 und einem
Zinssatz von 4 schneidet:
[3]
[3a]
Jetzt lässt sich Y mithilfe der IS-Kurve [1] substituieren
[4]
und für i=4 ergibt sich eine Geldmenge MS von 316,66. Die ursprüngliche Geldmenge in unserem Zahlenbeispiel in Höhe von 250 muss die Zentralbank also um 66,66 steigen lassen, wenn sie das Gleichgewichtseinkommen der Modellwirtschaft von 800 auf 1000 erhöhen will. Um das Ergebnis zu überprüfen, muss man in das Zahlenbeispiel für die Geldmenge lediglich 316,66 einsetzen und das Gleichgewicht bestimmen.
Expansive Geldpolitik: Eine Erhöhung der Geldmenge im normalen Bereich der LM-Kurve führt über sinkende Zinsen zu einer Ausweitung der privaten Investtionsnachfrage und löst so einen multiplikativen aus.
Interessanter ist natürlich die Frage, welcher Prozess dahinter steht. Wie kann die Erhöhung der Geldmenge zu einer Steigerung der realen Produktion führen?
Maßgeblich dafür ist der Keynes-Effekt.
Die steigende Geldmenge stört das
gleichgewichtige Portefeuille der Wirtschaftssubjekte. Für Transaktionsaktionszwecke
wird das zusätzliche Geld erst einmal nicht benötigt, denn eine steigende
Geldmenge löst
für
sich genommen ja - bis auf die Tatsache, dass etwas mehr Papier bedruckt
wird - keine steigende Produktion aus. Die zunehmende Liquidität wandert
daher in die Spekulationskasse und die Wirtschaftssubjekte überlegen, ob
es sich lohnt, Wertpapiere zu kaufen oder Spekulationskasse zu halten.
Da wir uns im normalen Bereich der LM-Funktion befinden, ist ein Teil der
Wirtschaftssubjekte davon überzeugt, dass die Wertpapierkurse steigen werden.
Dieser Teil kauft
daher Wertpapiere, was die Kurse steigen und die Zinsen
fallen lässt.
Die fallenden Zinsen lassen einige Investitionsprojekte, deren Grenzleistungsfähigkeit bisher nicht ausreichte, rentabel werden. Die Nachfrage nach Investitionen
nimmt zu und ein Multiplikatorprozess kommt in Gang. Der monetäre Funke ist
in den realen Bereich übergesprungen.
Auch hier hätten wir die Argumentation straffer halten können:
1. Die Zentralbank entschließt sich zu einer expansiven Geldpolitik. Sie erhöht die Geldmenge (Die LM-Kurve verschiebt sich nach rechts).
2. Würde sich nun kein realer Effekt anschließen, würde das Überschussangebot an Geld die Zinsen stark fallen lassen.
3. Die fallenden Zinsen regen jedoch die Investitionsnachfrage an. Ein Multiplikatorprozess wird ausgelöst.
4. Das steigende Einkommen führt zu einer zunehmenden Nachfrage nach Transaktionskasse, so das der Zinsrückgang gebremst wird.
Die Argumentationskette in Symbolen:
Jetzt sollten Sie es selbst versuchen!
A. Nehmen Sie an, die Regierung möchte in einer Zeit konjunktureller Überhitzung, dämpfend auf die Wirtschaft einwirken. Welche fiskalpolitischen Maßnahmen stünden ihr zur Verfügung und welche Wirkungskette wäre zu erwarten?
B. Untersuchen Sie mithilfe des IS-LM-Schemas, wie sich eine Verminderung der Geldmenge auf Einkommen und Zins auswirkt. Beschreiben Sie dabei den keynesianischen Transmissionsmechanismus.