Wird ein Studierender in einer Prüfung nach "den makroökonomischen Zielen" gefragt, dann erwartet seine Prüferin oder sein Prüfer ohne Zweifel, die folgende Antwort:
Warum sind die Ziele im Gesetz nicht
quantifiziert? Warum steht dort nicht:
Ein hoher Beschäftigungsstand ist bei
Arbeitslosenquoten unter 3 v.H. erreicht?
Auf diese vier Ziele verpflichtet §1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (kurz: Stabilitätsgesetz) von 1967 den Bund und die Länder. Sie sollen mit ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen dazu beitragen, die Ziele im Rahmen der (Achtung!) marktwirtschaftlichen Ordnung zu erreichen. Für den Fall, dass ihnen das nicht gelingen sollte, droht das Gesetz den Wirtschafts- und Finanzpolitikern aber keine Strafen an. Es gibt ihnen nicht einmal konkrete Zielwerte vor, obwohl sich die vier Ziele ganz problemlos quantifizieren lassen. Zum Beispiel könnte man ja das Erreichen von Preisniveaustabilität bei jährlichen Preissteigerungsraten zwischen minus und plus ein Prozent definieren. Dass dieses Intervall nicht besonders sinnvoll wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Das StabG schreibt in §2 der Bundesregierung vor, im Januar eines jeden Jahres einen Jahreswirtschaftsbericht mit den angestrebten Zielen vorzulegen. Somit sind immerhin die kurzfristigen Zielgrößen der Regierung bekannt, die aus nachvollziehbaren Gründen eher einer optimistischen als einer realistischen Einschätzung der Lage folgen. Im Jahreswirtschaftsbericht 2002 (S. 115) hielt die Bundesregierung unter Berücksichtigung ihrer wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen eine Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt "bei etwas unter 4 Millionen" für realisierbar. Die Zielgrößen im Jahreswirtschaftsbericht dürfen also nicht mit idealen Zielwerten verwechselt werden, denn ganz offensichtlich zeigt eine Arbeitslosenzahl von vier Millionen keinen "hohen Beschäftigungsstand" an - selbst wenn man ihn noch so zurückhaltend definiert.
Der Sachverständigenrat veröffentlicht
seine Jahresgutachten im Netz. Im Anhang sind jeweils Auszüge
aus dem
Stabilitäts- und
dem
SVR-Gesetz abgedruckt.
Hier
gehts zum aktuellen
Gutachten 2005/06 der "fünf Weisen".
Das Stabilitätsgesetz begreift eine Situation, in der allerdings vier Ziele verwirklicht sind, als ein "gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht". Hierbei handelt es sich um eine wirtschaftspolitische Auffassung des Gleichgewichtsbegriffs. Wir werden noch sehen, dass man ein makroökonomisches Gleichgewicht in gewohnter ökonomischer Weise mithilfe von Angebot und Nachfrage auch theoretisch definieren kann. Die vier Ziele finden sich auch im §2 des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung von 1963. Die Formulierung dort ist mehr oder weniger identisch mit der in §1 des Stabilitätsgesetzes, die Aufgabenstellung für die Wirtschaftsweisen allerdings schärfer formuliert: Sie sollen aufzeigen, wie das Erreichen der vier Ziele gewährleistet werden kann, wohingegen das Stabilitätsgesetz die Politik von Bund und Ländern nur verpflichtet, sie solle zur Erreichung der Ziele beitragen. Aber die Aufgabe der Wirtschaftsweisen ist ja auch einfacher. Was sie nur theoretisch erledigen sollen, ist für die Wirtschafts- und Finanzpolitiker eine reale Aufgabe mit womöglich dramatischen Konsequenzen bei Fehlentscheidungen. Außerdem benötigen die Sachverständigen keine politische Mehrheiten.